Schüler kümmern sich um Gedenkstele für verstorbene Zwangsarbeiterkinder

Langwedel - Von Lisa Duncan. Ein dunkles und zugleich wenig bekanntes Kapitel der Langwedeler Geschichte steht gerade bei Siebtklässlern des Wahlpflichtfachs Geschichte an der Oberschule am Goldbach auf dem Lehrplan: Zwischen 1943 und 1945 starben 21 Kleinkinder polnischer und zwei russischer Herkunft in einer sogenannten Verwahranstalt in Cluvenhagen. Deren Eltern mussten Zwangsarbeit verrichten und durften ihre Kinder nicht bei sich behalten. Seit 2002 erinnert ein schwarzer, mit einem weißen Engel verzierter Gedenkstein auf dem Daverdener Friedhof an dieses Verbrechen. Mit Schaufel und Blumenrabatten ausgerüstet, gingen die Oberschüler jetzt ans Werk, um der Stele, auf der alle Namen der gestorbenen Säuglinge zu lesen sind, mehr Aufmerksamkeit zu verleihen. Das Geld für die Pflanzung haben sie mit einem Kuchenbasar beim Elternabend verdient. 120 Euro kamen dabei zusammen.

Obwohl die Stele schon vor ein paar Jahren aufgestellt wurde, werde sie kaum wahrgenommen, sagt Friedhofsgärtner Werner Diekmann, der den Boden für die Pflanzaktion vorbereitete und einige Hornveilchen als Reserve zur Verfügung stellte.

Von dem eingenommenen Geld haben die Schüler bislang nur einen Bruchteil ausgegeben. Auf diese Weise sollte es für Nachpflanzungen in den Sommermonaten reichen. „Außerdem ist angedacht, dass wir mit dem Volksbund Deutsche Kriegsgräberfürsorge in Kontakt treten“, berichtet Geschichtslehrer Derik Eicke. Vielleicht finde sich so eine Möglichkeit für weitere Aktionen in Sachen Erinnerungskultur. Denn auf dem Friedhof in Daverden ruhen insgesamt 78 Opfer der Gewaltherrschaft und des Zweiten Weltkriegs. Auch Vertreter des Vereins für Regionalgeschichte Verden und die Kirchengemeinde Daverden wollen die Schüler befragen.

„Es ist wichtig, den Menschen ein Gesicht zu geben“, betont Eicke. Im Fall der Säuglinge gilt das freilich nur im übertragenen Sinne, da von ihnen keinerlei Fotografien vorhanden sind. „Die verstorbenen Kinder wurden auf dem Friedhof regelrecht verscharrt. Es ist davon auszugehen, dass die Kinder auch ohne Särge beerdigt wurden“, heißt es in den Unterrichtsmaterialien des Vereins für Regionalgeschichte Verden zum Thema Zwangsarbeit. Auch die Recherche nach den Schicksalen der erwachsenen Kriegsgefangenen und gefallenen Soldaten stoße relativ schnell an Grenzen, „denn die Angehörigen suchen nicht mehr nach den Toten“, sagt Eicke.

Um das Gedenken wach zu halten, würden die Schüler auch eine weitere Spendensammlung organisieren. „Ich könnte mir auch eine Art Patenschaft für die Stele vorstellen“, sagt Werner Diekmann.

„Das ist schon traurig, dass es so etwas gab“, findet der 13-jährige Jonatan. „Wenn die Stele bunt bepflanzt ist, gucken andere vielleicht auch mal drauf“, fügt Leonie (13) hinzu. Durch die Pflanzaktion am Gedenkstein werde die Geschichte greifbarer, die sich die Schüler ansonsten nur schwer vorstellen können. Zu viel Zeit sei vergangen, sagt Leonie. Tjark ist der Einzige unter den Schülern, dessen 92-jähriger Großvater den Zweiten Weltkrieg noch erlebte. „Er wuchs in einem anderen Dorf auf“, sagt Tjark, aber dort habe es ähnliche Schicksale gegeben, weiß er aus seltenen Erzählungen des Großvaters.

Zwangsarbeiterkinder:

Während des Zweiten Weltkrieges wurden mehr als eine Million Menschen aus Osteuropa nach Deutschland verschleppt, um in Industrie und Landwirtschaft unter unmenschlichen Bedingungen zu arbeiten. Unter den als „Fremd-“ oder „Ostarbeitern“ bezeichneten waren viele Frauen, die trotz strengster „Rasseschutzgesetze“ Kinder bekamen. Wurden die Frauen bei Schwangerschaft anfangs noch zurück in ihre Heimat geschickt, setzte sich schon bald die Praxis durch, die Kinder gleich nach der Geburt in „Verwahranstalten“ unterzubringen. Dort starben sie oft an mangelnder Pflege und Unterernährung. Die Kleinkinder, deren Namen auf der Stele auf dem Daverdener Friedhof aufgeführt sind, verstarben in der „Polenwehranstalt“ (einem ehemaligen Schweinestall) in Cluvenhagen. Laut Verein für Regionalgeschichte Verden lag dort die Sterblichkeitsrate bei 62 Prozent.

(Quelle: Verdener-Aller-Zeitung vom 12.03.2020)

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